Die Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus – verstanden als eine systematische und strukturelle Form der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Beschränkung bis Verweigerung von Teilhabe und Respekt – ist eine zentrale Aufgabe für ein demokratisches Gemeinwesen und ein zentraler Indikator für eine demokratische Kultur.
Wie könnte oder muss eine solche Auseinandersetzung aussehen?
Der erste Schritt ist die Bereitschaft, einfache Fragen ernsthaft zu stellen: Wie erleben und beschreiben rassismusbetroffene Menschen ihren Alltag in verschiedenen Lebensbereichen (Bildung, Arbeit, soziale Sicherungssysteme, Gesundheitswesen aber auch Wohnungsmarkt und Diskotheken)? Welche gruppenbezogenen Unterschiede/ Effekte lassen sich aus den vorhandenen (statistischen) Daten herauslesen?
Welche zusätzlichen Daten braucht es bzw. wie können Barrieren und Benachteiligungen sichtbar gemacht werden?
Diese Art von Fragen ist eng mit der Bereitschaft verbunden, Rassismus als ein strukturierendes gesellschaftliches Prinzip zu betrachten und damit einhergehenden Positioniertheiten als weiß oder Schwarz eine grundsätzliche Bedeutung in den zentralen Lebensbereichen zuzugestehen. «Race matters» – rassistischen Zuschreibungen beeinflussen Zugang zu und Teilhabe an Gesellschaft, aber auch die eigene Identitätsentwicklung. Das gleiche gilt für die strukturellen Privilegien, die weiß/mehrheitsdeutsch beschriebene Menschen genießen, oftmals ohne sie als Privilegien zu verstehen.
In einem dritten Schritt geht es schließlich um Konsequenzen, die Diskussion konkreter Maßnahmen und die Planung und Begleitung von institutionellen Veränderungsprozessen.
In Deutschland wird der differenzierte Fachdiskurs noch immer ignoriert und Rassismus im Rahmen des Extremismusansatzes auf eine rechte Ideologie und die Beschreibung des bewussten Handelns von Einzeltäter_innen und rechten Strukturen reduziert. Regelstrukturen und das institutionelle Handeln beispielsweise von Polizei und Geheimdiensten sind in dieser verkürzten Perspektive nicht erfassbar. […]
Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus wird – v.a. von rassismusbetroffenen – Selbstorganisationen, Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen seit Jahren mit nur geringer Wirkung eingefordert. Die Konsequenzen
sind eklatante Fehlstellen in der Analyse von Sachlagen, ein Verfehlen der Erwartungen von Betroffenen und eine Blockade notwendiger Veränderungen.
Der Band dokumentiert die Tagung und wurde um zusätzliche Beiträge erweitert. Nach einem Kapitel mit grundlegenden Überlegungen zur Perspektive Institutionellen Rassismus auf Gegenwartsphänomene folgen kritische beschreibende Beiträge aus verschiedenen gesellschaftlichen Orten, in denen Institutioneller Rassismus wirkt. In einzelnen Beiträgen werden auch Perspektiven und gute Praktiken beschrieben, aber wir wollen diese Publikation auch als einen Anfang verstehen, denn viele Fragen institutioneller rassistischer Diskriminierung sind weder erforscht noch systematisch beschrieben, noch weniger liegen zu vielen Aspekten guter Änderungsstrategien vor.