Sehr geehrte Damen und Herren,
vor fünf Jahren wurden die Verbrechen der NSU-Gruppe endlich aufgedeckt. Zwischen 2000 und 2007 wurden neun Männer mit Migrationsbiographie und eine Polizistin ermordet. Die Spuren der rechtsextremen, mutmaßlichen Täter reichen bis in unsere Stadt.
Ein Theatertreffen in Chemnitz greift mit dem Titel „Unentdeckte Nachbarn“ dieses Thema auf. Hier hält zeitgenössisches Theater uns den Spiegel vor. Die Veranstalter fordern Aufarbeitung.
Wir müssen uns eingestehen, dass sich direkt in unserer Stadt und in der näheren Umgebung über viele Jahre ein kriminelles Netzwerk ausgebreitet hat, ohne dass dessen Machenschaften zugeordnet oder verhindert wurden. Die mutmaßlichen Mörder lebten direkt unter uns.
Die Aufklärungsarbeit der staatlichen Behörden stand von Anfang an in der Kritik. Aber auch in der Gesellschaft dürfen diese Taten nicht verschwiegen werden.
Immer wieder ist zu beobachten, wie mit Vorurteilen und Falschaussagen Hass gegen Minderheiten erregt wird und rechtsextremes Gedankengut sich in der Bevölkerung verbreitet. Mit dem Lokalen Aktionsplan für Demokratie, Toleranz und für ein weltoffenes Chemnitz versuchen wir seit 2009 hier gegenzusteuern. Die Umsetzung wird jährlich mit 80.000 Euro aus dem Stadthaushalt unterstützt. Unter anderem werden Projekte gefördert, die sich mit Fremdenhass und Rassismus kritisch auseinandersetzen – so wie das Theatertreffen „Unentdeckte Nachbarn“.
Das Theatertreffen nimmt die Strukturen vor Ort und das Leben in unserer Region kritisch unter die Lupe und will gleichzeitig den Opfern und den Opferfamilien gerecht werden. Es bietet uns die Chance, künstlerische Perspektiven einzuladen und einen Diskurs zu beginnen. Die Theaterstücke und ein umfangreiches Rahmenprogramm holen die Fakten in unser Leben, zeigen die Perspektive der Betroffenen und sensibilisieren für den Umgang mit Fremden.
Auch wenn uns die Gedanken und Konfrontation schmerzen, ist ein öffentlicher Diskurs wichtig, ja notwendig.
Ihre
Barbara Ludwig